Fitnessmythen unter der Lupe

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„Es lebe der Sport, er ist gesund und macht uns hort!“

In der Theorie stimmt das ja auch, aber die Praxis sieht da meist anders aus. Nicht erst seit Reinhard Fendrich mit seiner Sport-Hymne versucht hat, aus Couch-Potatoes echte Sportskanonen zu machen gibt es sie. Die Fehl- und Trugschlüsse, die falschen Annahmen, darüber, was gut für den Körper ist und wie das sportliche Training effektiver gestaltet werden kann. Generationen von Freizeitsportlern haben sie kultiviert und weitergegeben, ständig kommen neue dazu. Wir sprechen von den unzähligen Fitnessmythen, mit denen wir Fitnesstrainer in Kundengesprächen immer wieder aufräumen müssen.

Vieles, was uns zwischen Fitnessstudio und Sportplatz von Hobby- und Amateursportlern, ja sogar von Trainern, in Form gutgemeinter Tipps geflüstert wird, hat im besten Fall keine Wirkung auf unsere Gesundheit, im schlechtesten Fall sind sie sogar kontraproduktiv. Darum möchten wir Ihnen hiermit einige der hartnäckigsten Fitnessmythen erklären und genauer erläutern, wieso diese nicht der Realität entsprechen.

Mythen über Sport und Training im Allgemeinen

Sport schädigt den Rücken

Das stimmt nur bedingt. Zum ersten fördert Sport die Durchblutung der (Rücken-)Muskulatur und macht sie damit leistungsfähiger. Zum zweiten funktionieren die Bandscheiben wie Schwämme. Sie werden ausschließlich von Wasser genährt und flexibel gehalten. Bei Belastung (Gehen, Laufen, Stufensteigen) wird dieses Wasser aus der Bandscheibe gepresst, sie verliert an Dicke und kann in weiterer Folge Stöße nicht mehr so gut absorbieren. Die Bandscheibe kann das Wasser aus seiner unmittelbaren Umgebung nur aufnehmen, wenn sie regelmäßig und schonend in alle Richtungen bewegt wird (Schwammeffekt). Somit wird sie ständig mit Wasser wiederbefüllt und erhält ihre Kapazität, mechanische Belastungen zu absorbieren.

Es muss auch erwähnt werden, dass bei jeder Sportart und Trainingsform stets die korrekte und rückengerechte Ausführung im Vordergrund zu stehen hat. Dann ist Sport auch für den Rücken gut. Leider wird noch immer mehr Wert auf Gewichte, Intensitäten und Wiederholungszahlen gelegt, als auf die korrekte Ausführung von Bewegungen. Allein dadurch ließe sich schon vieles zum Positiven wenden.

Auch falsch ist es zu glauben, dass bei Rückenschmerzen die Rückenmuskulatur gestärkt und trainiert werden muss. In der Regel ist genau das Gegenteil der Fall. Meist ist die Kräftigung der Oberkörpervorderseite und der Hüften in Kombination mit Maßnahmen zur Förderung von Beweglichkeit in Hüfte und Brustwirbelsäule zielführender.

Schwimmen ist gut für den Rücken

Auch die Meinung, dass Schwimmen gut für den Rücken sei, ist nur bedingt zu befürworten. Es steht außer Frage, dass damit die Muskulatur um die Wirbelsäue gekräftigt wird. Optimal schwimmt man aber nur, wenn man waagrecht im Wasser schwimmt und sich die Wirbelsäule in neutraler Position (ohne Überstreckung im Halsbereich) befindet. Dies geschieht jedoch nur beim Kraulen und Rückenschwimmen mit der richtigen Technik – welche meist nur Vereins- und Profischwimmer beherrschen. Wer in der Schwimmtechnik ungeübt ist, streckt den Hals zu sehr, um den Kopf über Wasser zu halten, was wiederum die Halswirbelsäule und ihre Muskulatur enorm strapaziert und langfristig genau das Gegenteil bewirkt: Nackenschmerzen und Verspannungen.

Statisches Dehnen (Stretching) vor dem Aufwärmen schützt vor Verletzungen

Leider ist oft das Gegenteil der Fall. Das Dehnen der Muskulatur senkt ihre Grundspannung (Tonus) und macht sie dadurch schlaffer und weicher. Doch unter Belastung sollte sie das genau nicht sein, denn schlaffe Muskeln geben leichter nach, können weniger Kraft aufwenden und machen den Körper langsamer. Sinnvoller ist es, nach dem Aufwärmen dynamische, wippende und rhythmische Bewegungen über den gesamten Bewegungsradius eines Gelenkes durchzuführen, sogenanntes dynamisches Dehnen. Dieses fördert die Beweglichkeit und hält dabei den Muskeltonus relativ hoch, sodass Gelenke, Muskeln und Sehnen für die Belastung ideal vorbereitet sind.

Statisches Dehnen ist am Ende des Trainings oder als eigene Dehneinheit abseits des normalen Trainings viel effektiver, da es die Muskulatur entspannt und damit die Regeneration fördern kann.

Das Training an Maschinen ist sicherer als mit Freigewichten

Das Training an der Maschine mag zwar unter ‚kontrollierteren Rahmenbedingungen‘ erfolgen, da das Trainings-Gerät die Bewegungsausführung vorgibt, trainiert aber damit verstärkt die großen Muskelgruppen (prime movers) und vernachlässigt die tiefer liegenden, stabilisierenden Muskeln (Stabilisatoren). Der somit erlangte Kraftzuwachs kann außerhalb des Fitnessstudios gefährlich werden, da die Stabilisationsmuskulatur (z.B. um das Schultergelenk und in der Hüfte) die kräftigeren Bewegungen im Alltag und Sport nicht 1:1 mittragen kann, da sie ja im Vergleich zu den Hauptbewegungsmuskeln unterentwickelt bleibt. Das kann Kompensationsbewegungen und im schlimmsten Fall Verletzungen Tür und Tor öffnen. Also nicht nur an Maschinen trainieren, sondern auch mit Freigewichten (Hanteln) bzw. auch mal nur mit dem eigenen Körpergewicht. Dies schult und stärkt auch die optisch nicht sichtbaren, aber umso wichtigeren Stabilisatoren in ihrem Körper.

Mythen zum Thema Gewichtsreduktion

Essen am Abend macht dick

Diese Aussage stimmt nur bedingt. Die Fettdepots werden dann angesetzt wenn über den gesamten Tag eine positive Energiebilanz vorliegt, also mehr Kalorien aufgenommen als verbraucht wurden. Abendliches Essen schadet ihrem Körper nicht (fragen sie mal den Italiener oder Spanier um die Ecke) und hat auch keinen direkten Einfluss auf den Abnehmerfolg. Wenn mit dem Verzicht des Abendmahls Abnehmerfolge erzielt werden, dann liegt das daran, dass schlichtweg eine oder mehrere Mahlzeiten abends weggelassen wurden und damit die tägliche Energiezufuhr reduziert wurde. Genauso gut hätte man eine oder mehrere andere Mahlzeiten weglassen können und dafür abends normal gegessen. Außerdem ist eine Kalorie am Abend gleich viel wert wie eine Kalorie in der Früh oder zu Mittag.

Es macht jedoch einen Unterschied, ob diese Kalorie aus raffiniertem Zucker oder (Weiß-)Mehl, oder aber einer hochwertigen Eiweißquelle wie Fisch stammt. Achten Sie daher mehr auf Ihre Energiebilanz und auf frische, naturbelassene Lebensmittel, als auf den Zeitpunkt der Nahrungsaufnahme.

Fettarme Nahrungsmittel sind kalorienarm

Dies muss meistens mit einem ‚Nein‘ gekontert werden. Fett ist ein hervorragender Geschmacksträger, den sich die Nahrungsmittelindustrie zunutze macht. Wird ein Produkt jedoch fettreduziert angeboten, so sollte es dennoch gleich verführerisch schmecken, damit der Konsument immer wieder zugreift. Der zweite ‚tolle‘ Geschmacksträger ist Zucker. Wenn Fett reduziert wird, wird meist Zucker zum Geschmacksausgleich beigefügt und der Kaloriengehalt des Nahrungsmittel ändert sich kaum. Achten sie genau auf die Etiketten von fettreduzierten Produkten. Meist werden sie feststellen, dass sie mehr Kohlehydrate in Form von Zucker beinhalten. Am leichtesten fällt der Vergleich, wenn ein Produkt in einer normalen und einer fettreduzierten Variante angeboten wird. Bei zuckerreduzierter Ware funktioniert das ganze natürlich genau umgekehrt. Weniger Zucker, dafür mehr Fett. Unser Tipp: genießen Sie so wenig Nahrungsmittel mit Etikette, wie möglich! Die Natur bietet uns für jeden Geschmack, was der Körper braucht.

Cardiotraining ist der einzige Weg zum Fettabbau

Das Cardiotraining unterstützt den Fettabbau, da der Köper damit mehr Energie in Form von Kalorien verbraucht. Dies ist jedoch nicht der einzige Weg zum Fettabbau, denn dieser hängt ja wie bereits erwähnt davon ab, wie viel sie zu sich nehmen und wie viel sie verbrauchen (durch Sport, Alltag, Bewegung allgemein). Ist die tägliche Energiebilanz negativ (Energiezufuhr geringer als Energieverbrauch), beginnt der Körper seine Fettdepots anzuzapfen, um sich die fehlenden Kalorien zur Energiegewinnung zu holen. Hierzu ist es aber auch ratsam, regelmäßiges Krafttraining zu betreiben, da damit die Muskulatur gestrafft und gefestigt wird, was natürlich die Körperform auch positiv beeinflusst. Außerdem gibt es keinen besseren Fettverbrenner als die Muskulatur selbst. Und diese sorgt 24 Stunden am Tag für ihre Fettverbrennung, auch wenn sie mal einen faulen Tag vor dem Fernseher einplanen.

Darum ist es ratsam, Cardiotraining mit Krafttraining, genügend Ruhephasen und einer gesunden Ernährung zu kombinieren, um die Energiebilanz negativ zu halten.

Mythen über das Krafttraining

Nur Sit-ups führen zum Waschbrettbauch

Dagegen sprechen drei Argumente:

Der Waschbrettbauch entsteht in der Küche und nicht im Fitnessstudio, denn nur eine gesunde Ernährung, die es ihnen ermöglicht, ihr Körperfett zu reduzieren, lässt ihre Bauchmuskulatur (die jeder von uns hat) das Licht der Sonne erblicken. Achten sie auf eine negative Energiebilanz, um auch das Bauchfett zu reduzieren, und sie kommen auch ohne stundenlanges, einseitiges Bauchmuskeltraining zu ihrem Traum-Rumpf.

Außerdem können wir nicht kontrollieren, wo der Körper sein Fett abbaut, wenn er es aufgrund geringer Energiezufuhr abbauen muss. In der Regel erfolgt der Fettabbau gleichmäßig über den ganzen Körper, man kann dies nicht durch spezielles Training ausgesuchter Regionen (Bauch, Beine, Po) steuern.

Außerdem geht die Wissenschaft heute davon aus, dass Sit-ups eher schädlich für die Wirbelsäule und absolut unfunktionell sind. Für einen kräftigen Rumpf empfehlen sich beispielsweise Übungen, welche Rotationen, Beugungen und Streckungen der Wirbelsäule entgegenwirken (z.B. Unterarmstütz, Liegestütz).

Kniebeugen sind schlecht für die Knie

Ja, wenn sich falsch ausgeführt werden bzw. wenn ihr Körper nicht die physischen Voraussetzungen hat, korrekte Kniebeugen durchzuführen. Wenn dies nicht zutrifft, sind Kniebeugen in sämtlichen Varianten einige der besten Übungen, um ihre Beine zu kräftigen, zu stabilisieren und die Kniegelenke muskulär vor Stößen von außen zu schützen.

Die Kniebeuge ist eines der fundamentalen menschlichen Bewegungsmuster, das jedes Kleinkind perfekt beherrscht – solange, bis es beginnt in Kindergarten und Schule stundenlang zu sitzen.

Die Realität zeigt aber, dass es genug Sportler gibt, die keine Kniebeugen durchführen sollten, da ihre physischen Voraussetzungen an Mobilität, Stabilität und Bewegungskontrolle im gesamten Körper fehlen (Krankheit, Gebrechen, Verletzungen)  oder verloren gegangen sind (einseitiges Training, ungesunde Alltagshaltungen). Denn Kniebeugen trainieren nicht nur die Beine, sondern den gesamten Körper und leben beispielsweise von einer korrekten und gerade gehaltenen Wirbelsäule inklusive Schulterblättern und einer aktivierten Rumpfmuskulatur. Gerade bei dieser Übung ist die Technik weitaus wichtiger, als das aufgelegte Gewicht. Wer zuerst die körperliche und technische Basis schafft, liegt mit Kniebeugen nie falsch.

Muskeltraining macht Frauen kräftiger

Muskeltraining wirkt sich auf Frauen anders aus, als auf Männer. Ausschlaggebend für das Muskelwachstum (Hypertrophie) ist unter anderem das Wachstumshormon Testosteron, welches bei Frauen bekanntlich in deutlich geringerem Maße produziert und ausgeschüttet wird, als im männlichen Körper. Bei Frauen kann es daher nicht zu einem vergleichbaren Muskelzuwachs kommen.

Ein weiterer Faktor ist die Ernährung. Um wirklich stark an Masse zuzulegen, muss man, ob Mann oder Frau, auch seine tägliche Kalorienzufuhr deutlich erhöhen. Wird dies nicht getan, strafft und kräftigt Muskeltraining die weibliche Figur, ohne sie übermäßig zu verformen.

Diese Liste an falschen Annahmen ist nicht erschöpfend, gibt Ihnen aber einen guten Überblick über die größten Trugschlüsse. Sollten sie wieder mal von ihren Sport-Kollegen gutgemeinte Tipps erhalten, erkundigen Sie sich beim Experten (Trainer, Arzt, Physiotherapeuth) oder informieren Sie sich über glaubhafte Quellen im Internet, ob sie dem Tipp folgen dürfen, oder ihn einfach vergessen sollen. Viel Spaß beim Training!

Quellen:

Erschienen in Kneipp Bewegt 2017