Gut koordiniert durchs Leben
.Gleichgewicht, Balance, Koordination, Gewandtheit oder auch Orientierung. Ist es alles das Gleiche oder stecken völlig unterschiedliche Fähigkeiten dahinter? Und was kann man trainieren, um sich beim Sport und im Alltag unbewusst auf die eigene Koordination verlassen zu können?
Grundsätzlich versteht man in der Medizin sowie in den Trainingswissenschaften unter Koordination das aufeinander abgestimmte Zusammenspiel zwischen dem Zentralen Nervensystem (ZNS) und der Skelettmuskulatur. Das Zentrale Nervensystem besteht aus unserem Gehirn und dem davon ausgehenden und durch die Wirbelsäule verlaufenden Rückenmark. Es bildet sozusagen das Steuerungssystem unseres Bewegungsapparates und wirkt somit als Schaltzentrale für jegliches Bewegungshandeln.
Ihm gegenüber stehen unsere mehr als 600 Skelettmuskeln – also jene, die wir willentlich ansteuern können um damit Körperbewegungen einleiten zu können. Diese Muskeln gleichen Ausführungsorganen, die es uns ermöglichen zu gehen, tragen, uns hinzusetzen und unsere Mahlzeiten zu zerkauen.
Wenn jemand also jene (meist komplizierten, sportlichen) Bewegung ausführen kann, hat diese Person eine „gute Koordination“.
Bedeutung im Alltag
Koordination entfaltet aber nicht nur im sportlichen Kontext ihre Notwendigkeit sondern vor allem im täglichen Leben.
Koordination bedeutet stets Präzision bei der Bewegungssteuerung und -ausführung. So erfordert das Tragen unhandlicher Gegenstände, das Ausweichen vor einem flotten Radfahrer, oder das fachgerechte Agieren mit dem Schraubenzieher auf der Leiter genauso ein gewisses Maß an guter Koordination wie das schnelle Umschalten von einem Rechts- auf einen Linksschwung beim Schifahren. Jeder braucht sie und ohne sie kann das Leben sehr mühselig werden.
Je besser die Koordination ausgebildet ist, desto leichter fällt es der betreffenden Person, neue Bewegungsabläufe zu lernen sowie diese mit möglichst wenig Energieaufwand durchzuführen. Die Ausbildung und Trainierbarkeit diverser koordinativer Fähigkeiten ist im Kindesalter am höchsten und sinkt dann mit zunehmendem Alter parallel zum Abbau von Kraft und Ausdauer. Daher ist es notwendig, variierende koordinative Übungen lebenslang in sein Training bzw. in den Alltag einzubauen, um möglichst lange auch in höheren Lebensdekaden unabhängig und verletzungsfrei zu bleiben.
Neben den Verlust an Kraft und Beweglichkeit ist meist ein Defizit an Koordination der Grund für die hohe Anzahl an Stürzen und anderen Verletzungen im fortgeschrittenen Alter. Dies muss aber nicht sein und wir werden ihnen weiters zeigen, wie einfach diese Gefahren umgangen werden können.
Auch für den Sportler hat Koordination einen sehr hohen Stellenwert, da der Grad der koordinativen Schulung in einem direkten Zusammenhang mit dem Verletzungsrisiko in der betreffenden Sportart steht. Das Vermeiden von Kollisionen mit Mitspielern oder Gegnern, das Ausbalancieren bei Stürzen aber auch die richtige Bewegungstechnik setzen ein hohes Maß an Koordination voraus. Besser koordinierte Sportler bewegen sich mit weniger Kraft- und Energieaufwand als weniger koordinierte Sportler und können demnach ihrer Energiereserven in Training und Wettkampf besser ausreizen.
Es ist hinreichend belegt, dass das Ausführen verschiedener Sportarten und Bewegungsmuster die koordinativen Fähigkeiten des Bewegungssystems verbessern. Abwechslung macht uns also in Alltag und Sport flexibler und gewandter.
Wichtige Komponenten
Stellen nun Begriffe wie Gleichgewicht, Balance, Koordination oder Orientierung dasselbe dar oder nicht?
Die klare Antwort:”Nein!” Es ist notwendig, diese Begriffe zu differenzieren, denn sie beschreiben unterschiedliche Fähigkeiten, die meist in keiner Korrelation zueinanderstehen. Demnach differenziert man zwischen unterschiedlichen koordinativen Fähigkeiten, die auch unterschiedlich trainiert werden können.
Gleichgewichtsfähigeit
Dies ist die Fähigkeit, den Körper im Gleichgewichtszustand zu halten, oder diesen wiederherzustellen, nachdem der Körper aus der Balance gebracht worden ist (z.B. beim Stolpern über die Stiege).
Übungen:
Diese Fähigkeit können Sie beispielsweise trainieren, indem Sie einbeinig stehen und kontinuierlich versuchen ihre Einbeinstand-Zeit zu verbessern. Sollte Ihnen dies nach regelmäßigen Üben sehr leicht fallen, besteht die Möglichkeit, zusätzlich ein Auge dabei geschlossen zu halten. Ein neuer Lernreiz für das ZNS, welcher Ihre Gleichgewichtsfähigkeit erweitert. Eine weitere Möglichkeit des Gleichgewichtstrainings besteht im Durchführen von Alltagshandlungen (Kochen, Zähneputzen, Bügeln) im Einbeinstand, eventuell dann wieder mit einem geschlossenen Auge.
Orientierungsfähigkeit
Die Bestimmung und Veränderung von Lage und Bewegungen des Körpers in Raum und Zeit, in Relation zu einem Aktionsfeld (Spielfeld, Raum, Turngerät) oder einem sich bewegenden Objekt (Ball, Fahrrad, Mensch) bezeichnet man als Orientierungsfähigkeit.
Es geht also darum, zu wissen wo bzw. wie man sich gerade im Raum befindet und wie bzw. wann man sich für eine gewünschte Handlung zu bewegen hat. So muss jeder Verkehrsteilnehmer beispielsweise Ampeln, Zebrastreifen, Auto- und Fahrradfahrer, sowie Fußgänger und Verkehrstafeln gleichzeitig im Blick haben und auf deren Vorgaben bzw. Handeln hin sein eigenes Handeln anpassen, ohne dabei andere zu schädigen oder Verkehrsregeln zu verletzen.
Übung:
Folgende Übung kann Ihre Orientierungsfähigkeit verbessern. Nehmen Sie einen Ball (je kleiner, desto effektiver die Übung) und werfen ihn gerade in die Höhe, drehen sich um die eigene Körperachse im Kreis und fangen den Ball wieder in der Ausgangsposition. Dabei können Sie die Wurfhöhe genauso variieren wie die Anzahl der Umdrehungen (Achtung: Schwindelgefahr) oder wahlweise mit links, rechts oder beidhändig fangen.
Differenzierungsfähigkeit
Diese Fähigkeit beschreibt fein abgestimmte und dosierte Bewegungen bzw. Teilkörperbewegungen mit großer Bewegungsgenauigkeit. Sie äußert sich beispielsweise in einem differenzierten Ballgefühl sowie Wasser- oder Schneegefühl in verschiedenen Sportarten. Dieses differenzierte Feingefühl entwickelt sich meist durch jahrelanges intensives Ausüben bestimmter Tätigkeiten und ermöglichen oft erstaunliche Fertigkeiten. Physiotherapeuten oder Masseure haben ein sensibles Feingefühl, das es ihnen erlaubt Patienten behutsam und mit genau der richtigen Druckverteilung zu berühren und zu behandeln. Genauso benötigen Uhrmacher und Chirurgen ein besonderes Feingefühl in ihren Fingern.
Übung:
Versuchen Sie beispielsweise verschiedene Bälle (Griffigkeit, Gewicht, Größe) mit Händen zu werfen und zu fangen oder mit den Füßen am Boden entlang zu rollen und erkennen Sie die dabei unterschiedlich notwendigen Dosierungen.
Rhythmisierungsfähigkeit
Es geht darum, einen von außen vorgegebenen Rhythmus zu erfassen und in Form von Bewegungen zu reproduzieren. Nicht nur beim Tanzen ist es wichtig, im Rhythmus zu bleiben, diesen also mit entsprechend abgestimmten Bewegungen zu erfassen. Jegliche sportliche Technik hat ihren eigenen Rhythmus, den es umzusetzen gilt, damit der Wurf, Schlag, Sprung oder Sprint auch gelingt. Wenn wir es eilig haben und schnell zwischen den anderen Fußgängern hin und her schreiten, ohne zu kollidieren, gilt es ebenfalls mit der sich bewegenden Menschenmenge im Rhythmus zu sein. Ihr Gehrhythmus wir dabei ein anderer sein, als beim Flanieren an der Strandpromenade im Urlaub.
Übungen:
Natürlich ist jede tänzerische Betätigung ein enormer Fundus für rhythmussteigernde Übungen. Andererseits können auch jegliche Seilsprungvarianten ein Training der Rhythmisierungsfähigkeit darstellen.
Kopplungsfähigkeit
Unter der Kopplungsfähigkeit versteht man das koordinierte Ausführen von verschiedenen Arm-, Bein-, Kopf- und Rumpfbewegngen.
Beim Schwimmen gilt es zum Beispiel die Körperteile Arme und Beine miteinander gleichzeitig, jedoch völlig unterschiedlich zu bewegen. Wenn Sie mit einer vollen Einkaufstasche in der einen Hand, dem Telefongespräch in der anderen Hand vor ihrer Haustüre stehen und zusätzlich diese noch mit einer Hand aufsperren möchten, erfordert dies ein hohes Maß an Koppelung (Stichwort Multitasking). Sie müssen also mit jedem Arm unabhängig voneinander verschiedene Tätigkeiten ausführen während wahrscheinlich das Telefon zwischen Kopf und Schulter eingeklemmt ist, sodass dabei auch telefoniert werden kann.
Übungen:
Zum Üben dieser Fähigkeit können Sie versuchen einen Tennisball mit den Händen in die Luft zu werfen und wieder zu fangen und gleichzeitig mit einem gestreckten Bein die Ziffer ‚8‘ in der Luft zu schreiben. Alltagstauglicher wäre beispielsweise das Essen mit Messer und Gabel in der jeweils anderen Hand als üblich. Auch das Zähneputzen mit der ungewohnten Hand fördert diese Differenzierungsfähigkeit, bis sie nach regelmäßigem Üben den Unterschied zwischen links und rechts nicht mehr merken.
Reaktionsfähigkeit
Sie beschreibt die Fähigkeit, auf ein Signal (meist von außen) mit möglichst schnellen und zweckmäßigen Handlungsaktionen zu reagieren.
Für den Autofahrer kann dies bedeuten, gerade noch rechtzeitig abzubremsen, wenn ein Kind (oder ein Tier) plötzlich über die Straße läuft. Für Sprinter bedeutet Reaktionsfähigkeit, möglichst schnell auf den Startschuss zu reagieren und sich aus dem Startblock zu beschleunigen.
Übungen:
Zu Trainingszwecken können sie vier Gummibälle („Hupfbälle“) oder vier Tennisbälle zusammenkleben, sodass sie eine Pyramide bilden. Dieser Reaktions-Ball wird zum Boden geworfen oder geprellt, wobei man ja nicht weiß in welche Richtung er wieder davon abprallen wird. Ziel ist es nun schnell zu reagieren und den abprallenden Ball zu fangen, bevor er wieder zu Boden fällt.
Als Partnerübung ist auch folgendes überall durchführbar: Partner A hält einen Ball in der Hand, Partner B steht diesem zwei bis drei Meter gegenüber und hält die Augen verschlossen. Auf ein akustisches Signal von A (Klatschen, Kommando, Fuß stampfen, etc.) wird der Ball Richtung B geworfen, der blitzschnell die Augen öffnen, den Ball lokalisieren und auch fangen muss.
Differenziert in Balance bleiben
Fazit: Wie man erkennen kann, ist der Begriff der Koordination sehr allgemein und beinhaltet eine große Anzahl unterschiedlicher Fähigkeiten, welche komplex – also gleichzeitig und gemeinsam – oder isoliert – also jede Fähigkeit für sich alleine – trainiert werden können. Die Relevanz dafür ist im Alltag genauso gegeben, wie im Sport. Daher ist es empfehlenswert zumindest ein bis zweimal wöchentlich ca. zehn Minuten in die Erhaltung und Verbesserung der eigenen Koordination zu investieren.
Und das beste dabei ist: Es ist abwechslungsreich, macht Spaß und erfordert keinerlei Vorkenntnisse. Bleiben sie daher differenziert, orientiert und balanciert!
Erschienen in Kneipp Bewegt 12/2017-01/2018